Mittwoch, 17. Juli 2013

Ralf Isau - Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

http://www.jokers.de/media/ab/2/017362446-pala-und-die-seltsame-verfluechtigung-der-worte.jpg
(429 Seiten)


Erst ganz zum Schluss, ist wer Geduld hat, schlauer,
die Maske heit’ren Überschwangs mag trügen.
Selbst Friedensboten neigen gern zum Lügen,
doch echte Weisheit ist ein Schatz an Dauer.
 
Wenn Ungewohntes macht ihr Lächeln sauer,
selbst Hochbetagte muss man manchmal rügen,
bevor selbst Freunde sich dem Schweigen fügen,
weil Altersstarrsinn fällt wie Hagelschauer.
 
Wenn redliches Gespräch versiegt im Sande,
öffnet das Tor sich unheilvollen Reitern,
die bringen Hunger, Krieg und Pest dem Lande.
 
Versäumt ein Rat zur Zeit sich zu erweitern,
folgt seinem Schweigen fürchterliche Schande –
allein die Furcht lässt manche Absicht scheitern.
 
Mit diesem Sonett beginnt Ralf Isau diese fantastische Geschichte, die von der Macht der Worte handelt.
 
Bevor ich auf die eigentliche Geschichte näher eingehe, möchte ich mich dem roten Faden, der sie zusammenhält, der die einzelnen Kapitel miteinander verbindet, zuwenden. In diesem besonderen Fall nimmt er die Form von einem Sonettenkranz an, der mit dem Meistersonett endet!
Da ich befürchten muss, mit meinen eigenen Worten hier nur Verwirrung zu stiften, wähle ich zur Beschreibung die Worte Ralf Isaus:
„Der Dichtung Königin ist der Sonettenkranz. Er besteht zunächst aus vierzehn Sonetten, deren letzte Zeile jeweils die erste des folgenden Gedichts bildet (die Endzeile des vierzehnten Sonetts entspricht der Anfangszeile des ersten). Ein fünfzehntes, das „Meistersonett“ schließt den Zyklus ab (oder geht ihm voraus); es besteht aus den Anfangszeilen aller vierzehn Gedichte und bildet die gedankliche Summe des Sonettenkranzes.“
 
Zur Verdeutlichung könnte ich hier jetzt alle fünfzehn Sonette aus „Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte“ aufführen, doch ich will es bei dem Meistersonett belassen:
 
Erst ganz zum Schluss, ist wer Geduld hat, schlauer,
allein die Furcht lässt manche Absicht scheitern.
Des Schweigens Kerker steht so voller Leitern,
die Blinden seh´n hier nicht einmal die Mauer.
 
Sind Wonnen süß, ist kurz meist ihre Dauer,
sogar von Gift lässt sich der Tor erheitern.
Ein Wort im Zorn reißt Wunden, die schlimm eitern,
Den Tod erfreut´s, der still liegt auf der Lauer.
 
Die Offenheit lässt den Verschwörer weichen,
Das Netz von Ichsucht, Stolz und Neid zu kappen,
gelingt nur den an Wahrheitsworten Reichen.
 
Der Irrtum steht auf Zweifels morschen Wappen,
Die Klugen selbst in Not seh´n Hoffnungszeichen,
besiegen mutig feige Jammerlappen.
 
Jedes der fünfzehn Sonette geht einem der Kapitel dieses Buches voraus und stellt deren „Moral“ metaphorisch dar.
 
Diese unvorstellbare Mühe, die es den Autor gekostet haben muss, einen vollständigen Sonettenkranz, der auch inhaltlich zu dem Buch passt, zu erschaffen. Ich kann nur sagen: Chapeau!
 
Aber nicht nur in diesem Sinne ist mir diese Geschichte besonders in Erinnerung geblieben, sie konnte mich auch in jeder anderen Hinsicht von sich überzeugen!
 
Pala lebt in dem Städtchen Silencia, einem Ort der Dichter und Geschichtenerzähler. Hier ist die Kunst der Worte besonders hoch angesehen. Doch eines Tages beginnen diese Worte zu verschwinden. Sie verschwinden aus den Köpfen der Menschen und nehmen ihnen damit einen Teil ihrer Menschlichkeit. Dies geschieht langsam und nicht bei jedem ist diese Verflüchtigung der Worte sofort zu erkennen. Bei manchen verschwinden zunächst nur einzelne Silben, bei manchen gleich die ganze Sprache. Nach und nach wird die Stadt immer ruhiger und wird somit ihrem Namen gerecht.
Pala scheint die einzige zu sein, die ihre Sprache nicht verliert. Sie macht sich auf die Suche nach Antworten, um den Prozess aufhalten zu können und die Worte wieder in Erinnerung zu rufen. Damit ihr dies gelingt,  muss sie ihre ganze Wortgewandtheit und ihr Talent für Rätsel und Wortspiele einsetzen, denn der Schlüssel für ihr Problem liegt in einem Gedicht verborgen…
 
Es ist jetzt schon so lange her, dass ich dieses Buch gelesen habe, doch bin ich auch heute noch beeindruckt von dieser Darbietung der Macht der Worte. Eine scheinbar unerschöpfliche Quelle der Fantasie scheint Ralf Isau zur Verfügung gestanden zu haben.
 
Es lohnt sich, sich auf dieses Wortspiel einzulassen!

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